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Yukon rowing quest ...

Yukon Rowing Quest 2012
740 Km von Whitehorse nach Dawson City
in 53 Stunden und 54 Minuten

Bereits lange währte die Idee, den Yukon herunter zu rudern. Am besten als Teilnehmer des Yukon River Quest, dem härtesten Kanurennen der Welt. Nur leider ließ man uns nicht teilnehmen – jedenfalls nicht als Ruderer. Und so beschlossen wir, den Kanuten 90 Minuten Vorsprung zu geben und ansonsten zeitgleich und nach den Regeln des Yukon River Quest im Ruderboot zu starten. Wir sind Michael Bögle, Björn Schulze-Gülich und Matthias Ritz vom Ruderverein Wandsbek e.V. bzw. vom Lufthansa Sportverein e.V.. Was hier so schnell erzählt ist, hat von der Idee bis zur Umsetzung fast 4 Jahre gedauert. Allein ein Ruderboot zu kaufen und es im riesigen Kanada dort hin zu bekommen, wo man es braucht ist eine Geschichte für sich. Vielleicht erzähl ich sie euch später mal. Aber nun zu unserer Tour:

Der Yukon fließt nach seinem Ursprung in den Quellseen von British Columbia durch das Yukon Territory (YT) im Wesentlichen nach Norden, um dann kurz vor dem Polarkreis nach Westen Richtung Alaska abzubiegen. Nach mehr als 3000 Km mündet er schließlich in die Beringsee. Du kannst dir vielleicht jetzt schon vorstellen, dass dort alles sehr weit, sehr kalt und sehr einsam ist. Immerhin ist das YT so groß wie Deutschland, Österreich und die Schweiz zusammen und die Zahl der Bären entspricht mit 30.000 in etwa der Zahl der Einwohner. Die größte Stadt im YT ist Whitehorse unser Startpunkt. Die bekannteste ist vermutlich Dawson City, gelegen am legendären Klondike River, dessen Goldfunde Ende des 19. Jahrhunderts den größten Goldrausch aller Zeiten ausgelöst haben. Dazwischen Wälder, Berge, Seen und Flüsse und bald auch wir in unserer kleinen, 860cm langen, aus Mahagoni-Holz bestehenden, geklinkerten Nussschale, die vermutlich in den 1940iger Jahren in der Schweiz gebaut wurde. Ein paar Bilder vom Boot könnt ihr auf unserer Webseite sehen.

Am 27.07.2012, 13:37 Uhr legen wir endlich in Whitehorse zur 1. Etappe nach Carmacks ab. Der Plan ist einfach und klar: 320 Km, möglichst in maximal 22 Stunden; am Stück versteht sich, denn danach gibt es ja eine Ruhepause von 8 Stunden, inklusive, ausladen, Zelt aufbauen, Essen machen, Zelt abbauen…, ach ja, und schlafen. Wenn wir in Carmacks angekommen sind, werden wir 30 Stunden wach gewesen sein.

Wir und unser Boot sind gut prepariert, Bug- und Heckkasten sind wasserdicht verschlossen, Planken, Ausleger und Skulls gecheckt, GPS und Musikbox an Bord und auch die gute alte Flusskarte aus Papier fährt mit. Wir werden Sie noch brauchen. Dazu später mehr.

Wie schon gesagt, starten wir nun also 90 Minuten nach den Kanus bei herrlichem Sommerwetter und um die 25 Grad Celsius. Der Fluss, der hier smaragdgrün ist, fließt zügig mit etwa 10 Km/h und es rudert sich leicht, nur beim Steuern muss man aufpassen, dass man sich nicht allzu sehr von den Verwirbelungen umhertreiben lässt. Schon in der 1. Stunde sehen wir ein Adlerpaar, das uns eher skeptisch nachsieht. Ein Ruderboot ist hier eh eine Attraktion und die Adler sind vermutlich nicht die Einzigen, die noch nie eins gesehen haben.

Wir waren sommerlich bekleidet und hatten für die Nacht unsere warme Kleidung wasserdicht in Säcken unter der Bugabdeckung sicher verstaut. Keiner von uns ahnte nur im Geringsten, dass uns diese Idee in der Nacht fast zum Verhängnis werden würde.

In Gedanken waren wir aber nicht bei Kälte, sondern beim Lake Laberge, einem etwa 55 Km langen See, der bei ungünstigem Wind unpassierbar ist. Bis zu 2 Meter hohe Wellen führen hier manchmal schon zum Abbruch oder einem Weiterfahrverbot für die Kanus. Da klopft das Herz schon ein wenig, wenn das Tal sich öffnet und der riesige See vor einem liegt.

Der See ist umgeben von schneebedeckten Gebirgsketten, Wäldern und Felsen. Das Wasser ist klar und kalt. Einfach herrlich. Und wir hatten auch noch Glück dazu. Es wehte ein leichter Wind genau von achtern; das ist beim Boot hinten. So blies uns der Wind freundlich über den See auf dem es natürlich sonst keine Strömung gab und so machten wir immerhin 10 km/h Fahrt.
Nach etwa der Hälfte des Sees sahen wir die ersten Kanus weit am Horizont. Um 18:39 Uhr überholten wir das 1. Kanu. Wir wollen sportlich bleiben, also sage ich nur: Ein guuutes Gefühl! Und so ging es munter weiter. Wir rollten das Feld etwa bis in die Mitte auf und kassierten Kanu um Kanu. Korrekt wie wir sind schrieben wir jeweils die Uhrzeit und Startnummer auf, wenn wir überholten. Kerben ins schöne Mahagoni-Holz zu machen verbot sich von selbst. Wir fühlten uns blendend, so dass es uns in keinster Weise in den Sinn kam zu pausieren, geschweige denn sich auf die uns bevorstehende Nacht vorzubereiten und daher passierten wir nach 5 ½ Stunden am Ende des Lake Laberge eine von vielen Kanufahrern genutzte Anlegestelle.

Der Yukon begann wieder, die Strömung zog an und wir machten jetzt zwischen 15 und 17 km/h Fahrt. Für die Rennruderer: Im Gig-Doppelzweier mit Steuermann und mit Gepäck! Langsam brach die Nacht herein und die Temperaturen fielen Grad für Grad bis fast zum Nullpunkt. Als zeige der Fluss seine Milde blieb genau noch 1 Grad nach. Uns wurde kalt und immer kälter, die warmen Sachen waren gut verpackt und es bot sich keinerlei Anlegemöglichkeit ohne ein hohes Risiko einzugehen. Der Prallhang war in der Regel ein Steilufer mit reißender Strömung während der Gleithang so dicht bewachsen war, dass an Anlegen nicht zu denken war. Stunde um Stunde versuchten wir, uns mit rudern weiterhin warm zu halten, verkürzten die Steuerzeit von 45 Minuten auf 30 Minuten, weil man es sonst in den letzten 15 Minuten vor Kälte nicht mehr aushielt. Erst um 01:30 Uhr gelang es uns, in einem waghalsigen Manöver in einen stillen Seitenarm einzubiegen. Es ist kaum zu glauben, aber das war seit Stunden die einzige Chance und sie wäre es auch geblieben.

Unter normalen Umständen hätte man auch in diesem Seitenarm wahrscheinlich keine Möglichkeit zum Anlegen gesehen, doch wir wussten, dass es die einzige Chance war und mussten sie ergreifen - egal wie! Ein Quadratmeter großes Stück war nicht bewachsen und so kletterten wir im Gänsemarsch über den Bugkasten an Land und konnten uns endlich wärmer anziehen. Vielleicht kam uns hier das erste Mal zu Bewusstsein, dass wir in der Wildnis waren und hier in dieser Einsamkeit besser nichts schief geht. In so einer Situation ist es dann gut, Michael unseren Kanada-Experten an Bord zu haben, der nachdenklich in dieser Einsamkeit murmelt: Eine typische Bärenbucht!

Die Nacht war eisig, auch mit der warmen Kleidung. Das 5 Grad kalte Wasser des Yukon dampfte, weil es wärmer als die Luft war. Kilometerlang fuhren wir durch ein Waldbrandgebiet und zu beiden Ufern grüßten still die verkohlten langen Kiefernstämme. Schaurig und vor allem immer noch schaurig kalt. Ich kann mich nicht an eine so bleiern kalte Nacht erinnern.

Es muss gegen 9:00 Uhr gewesen sein, als wir endlich die Wärme der ersten Sonnenstrahlen spürten. So langsam kamen die Lebensgeister wieder und wir wussten, dass wir uns in den letzten Zügen der ersten 320 km Etappe befanden. Was sind 4 Stunden nach so einer Nacht.

Wir waren jetzt fast 20 Stunden unterwegs und spürten alle Gliedmaßen. Uns plagten das Gesäß, die Beine, die Hände und vor allem der Rücken. Das Wetter war mittlerweile bei sommerlichen 25 Grad wieder echt vorzeigefähig. Wir einigten uns darauf, dass nach jedem 45-minütigen Steuermannswechsel eine 15-minütige Treibphase zum Ausruhen und Strecken eingeräumt wurde. Das war eine gute Idee. Herrlich!!!

Es war jetzt der 28.07.12 und wir ruderten gegen 12:30 Uhr an dem 1. offiziellen Camp des Yukon River Quest in Carmacks vorbei. Am Steg standen einige der Kanuten, winkten und jubelten uns zu. „See you in Dawson“ riefen sie. Schön, dass Sport alle Menschen so schnell miteinander verbindet.

Unser Camp schlugen wir nach 22 Stunden und 55 Minuten Fahrzeit hinter der ersten und letzten Brücke über den Yukon zwischen Whitehorse und Alaska auf in der Nähe von Carmacks am Klondike Highway auf. Wir benötigten nur wenige Worte und die anstehenden Tätigkeiten verteilten sich wie von selbst. Michael bereitete das Essen zu, das Zelt musste aufgebaut und das Boot samt unserem Gepäck gesichert und ausgeräumt werden. Uns schien alles, trotz der enormen Erschöpfung, gut von der Hand zu gehen. Und wenn ich mich auch gefragt hatte, ob ich mitten am Tag, bei 25 Grad Celsius im Zelt und knapp 23 Stunden Ruderzeit überhaupt einschlafen kann, so muss ich jetzt sagen, dass ich mich nicht mehr daran erinnere, überhaupt den Kopf auf die Isomatte abgelegt zu haben. 6 herrliche, tiefe Stunden Schlaf wirkten Wunder.

Um 21:01 Uhr legten wir zur 2. Etappe ab. 255 Km lagen nun vor uns. Carmacks war unsere letzte Chance aus dem Rennen auszusteigen. Jetzt ging es über 400 Km nur noch durch die Wildnis und wir mussten uns darüber klar werden, unsere Tour zu Ende bringen zu wollen, auf uns allein gestellt zu sein. Eine Entscheidung, die einen dann doch nachdenklich stimmt.

Aber während wir geschlafen haben, hatte unsere Support-Crew, bestehend aus Michaels Familie und meinem Sohn Fabian unser Boot komplett neu mit Wasser und Proviant ausgestattet. Zumindest Hunger würden wir nicht leiden müssen. Und so starteten wir nach einem leckeren Frühstück in die zweite Nacht. Und auch diese 2. Nacht hielt wieder eine besondere Herausforderung für uns bereit.

Denn 3 Stunden entfernt lagen die bei den Paddlern gefürchteten Stromschnellen Five Finger Rapids. Und auch wir waren sehr gespannt. Wir kannten lediglich ein paar Videos von Durchquerungen und wussten, dass es nicht einfach werden wird. Als wir den Stromschnellen näher kamen wurde das Rauschen des Wassers immer lauter. Man hörte regelrecht die Massen, die Gewalt und die Macht des Wassers. Es war respekteinflößend!
Wir waren gut vorbereitet, hatten klare Kommandos im Vorwege besprochen und im Boot war alles festgebunden, Heck- und Bugkästen waren wasserdicht verzurrt, wir hatten unsere Schwimmwesten an und Michael, der sich als Steuermann opferte, machte einen überaus entschlossenen Eindruck.

Wir kamen immer näher und es gab kein Zurück mehr! Die Strömung ist so stark, das Ufer schon weit vorher so steil, dass man zwar wenden aber nicht entkommen könnte. Wir passierten also unter dem Tosen des Wassers den rechten Kanal. Michael manövrierte uns genau in die Spitze des Strömungs-„V“. Das Ufer flog vorbei und wir erreichten 25,9 Km/h in unserem Gig-Zweier. Da muss man selbst mit dem Fahrrad ganz schön strampeln.

Das Gute kommt immer zum Schluss! Und hier waren es die tosenden, sich kreuzenden, stehenden Wellen. Michael steuerte uns durch die Rapids und schrie die Kommandos aus sich heraus: „Wellen! – Stabilisieren! – YEA! – Kommt Jungs, Weiter! – Wellen! – YEA! – Wasser!– Weiter! – YEA– Stabilisieren!!“
Die Bugspitze wurde immer wieder von den Wellen überspült, Wasser spritzte vom Wellenbrecher zu beiden Seiten, aber nur wenig drang in den Innenraum. Das kleine Boot wurde vollends zum Spielball der Gewalten. Dann waren wir durch! Das Wasser wurde ruhiger. Alles war intakt und vor allem war der Kiel noch da wo er hingehörte, nämlich unten. Die Sieger des Yukon River Quest, das wussten wir zu dem Zeitpunkt natürlich nicht, hatten hier noch ein Bad genommen und waren in ihrem 6er Kanu in den Rapids gekentert. Wir jubelten und da war es wieder, dieses Gefühl, das man für Geld nicht kaufen kann.

Es war jetzt ca. 23:15 Uhr als wir die Five Finger Rapids durchquert hatten und die Nacht hereinbrach. Und ich muss sagen, dass es eine unbeschreiblich schöne Nacht war. Da wir die ganze Nacht nach Norden fuhren, war vor uns das traumhafte rot der Mitternachtssonne zu sehen. The Race Into The Midnight Sun: Jetzt wussten wir warum das Rennen so hieß. Dazu eine unglaubliche Stille, die nur vom leisen Gurgeln des Wassers und dem schmirgelnden Geräusch der Sedimente am Bootsrumpf unterbrochen wurde. Diese Nacht war ein Traum.

Doch Träume sind wie Wolken, man kann sie nicht auf ewig festhalten und so fanden wir schnell in die Wirklichkeit zurück als es gegen Morgen anfing zu regnen. Das ist ja kein Problem. Ein Szenario mit dem du dich vorher unzählige Male auseinander gesetzt hast. Dumm nur, wenn es nicht sauber gelöst ist. Ja, es ist schwer beim Rudern wirklich wasserdichte Kleidung zu tragen, aber ich zumindest war weit davon entfernt auch nur annähernd wasserdicht ausgestattet gewesen zu sein. So kam mir ein Stopp in „Fort Selkirk“ auch deshalb sehr gelegen, um meine Kleidung am Feuer zu trocknen. Weißt du eigentlich, wie lange Rauchgeruch sich in Kleidung hält? Ich will das nicht vertiefen.

Um 5:25 Uhr legten wir in Fort Selkirk an, um Mittag zu essen. Unser Biorhythmus war nach der 2. durchruderten Nacht vollkommen durcheinander. Trotz unserer Erschöpfung genossen wir den Anblick des Sonnenaufgangs und das Erwachen der uns umgebenden unberührten Wildnis mit Ihren Bären und Elchen, die uns einige Male am Flussufer beäugten, als hätten wir hier nichts verloren.
Um 14:30 Uhr beendeten wir bei herrlichem Sonnenwetter nach 17 1/2 Stunden die 255 km der 2. Etappe. Wir wussten, dass es hier einen Camp Ground, das sind keine Zeltplätze im herkömmlichen Sinne, sondern eher ein Fleckchen Erde an dem der Waldbogen in Zeltgröße gerodet war, geben sollte. Das Ufer war so dicht bewachsen, dass wir erst im allerletzten Moment eine Holzbank sahen, die auf den Zeltplatz schließen ließ. Wir wendeten mit aller Kraft über Steuerbord, denn jede Sekunde, die das Wenden länger dauerte, spülte uns der Yukon stromab. Michael und Björn ruderten mit ihrer ganzen Kraft und doch kamen wir gegen den Strom nur in Zeitlupe voran. Das Wasser schoss jetzt unter uns durch, was man nicht so stark bemerkte, wenn man mit dem Strom fuhr. Wir schafften es ans steinige Ufer und ein umgestürzter Baum bot uns etwas Schutz vor der Strömung und diente als Poller, um unser Boot zu vertäuen.

Zügig sicherten wir unser Boot, schlugen unser Camp auf, stellten unseren Wecker auf 19:30 Uhr und gingen am helllichten Tag mit Sonnenschein schlafen. Es war nicht der Wecker, der uns erwachen lies, sondern der auf das Zelt prasselnde Regen und der Donner eines zum Glück etwas entfernten Gewitters. Wir entschlossen uns, die Zeit mit der Zubereitung unseres „Ungarisch Gulasch“ zu überbrücken. Eigentlich waren nur 5 Stunden Pause geplant, doch der Regen hatte uns fest im Griff und so wurden daraus leider 6 Stunden.

Der Regen hatte nachgelassen. Doch das Boot stand unter Wasser und musste ausgepumpt werden. Es war alles nass und matschig! Die Schuhe, unsere Kleidung, das Zelt, die Lebensmittel im Boot, … einfach alles! Die Lebensmittel? Räumt man die nicht aus und hievt sie bärensicher an einem Ast hoch? Ja, das stimmt! So hatte ich es auch gelesen und gedacht: Ja, das machen wir! Sicher ist sicher! Nun muss ich sagen, dass sich nach 17 ½ Stunden rudern eine gewisse Gleichgültigkeit in einem breit macht. 5 Stunden Schlaf locken und stehen einer ½ Stunde Arbeit gegenüber. Und ich gebe zu, dass ich gedacht habe: Dann frisst er mich eben, ist auch sch… egal.
Björn hatte sich noch bei Michael absichern wollen: Bei der Strömung kommt ein Bär doch gar nicht auf diese Insel oder? Michael, ehrlich wie immer, sagte nur: Kommt ´drauf an, wo er los schwimmt. Bären sind gute Schwimmer.

Nicht so gut geschlafen, und dann ist dieses 2. Camp auch erzählt, haben unsere Supporter. Da wir den GPS Tracker während der Pause nicht abgestellt hatten, der unsere Tourdaten just in time ins Internet übertrug, tanzte die Positionsanzeige wild über Stunden kreuz und quer über die Insel. Michaels Frau hatte daher schon die Befürchtung, dass nicht nur unsere Lebensmittel, sondern auch wir vom Bären gefressen wurden, der nun einen Verdauungsspaziergang über die Insel mit uns machte. Technik, die begeistert!
Auf unserer 3. Etappe regnete es zunächst ununterbrochen. 160 Km, also etwa 11 Stunden, lagen vor uns. Wie immer ging es kurz nach dem Start in die Nacht. Wir waren von Whitehorse aus bestimmt nochmal 400 Km nach Norden gefahren und es war um Mitternacht noch taghell. Aber davor? Dichte, dunkle Wolken hatten den Himmel verschleiert. Der Fluss war auf eine Breite von mehr als einem Kilometer angewachsen. Unzählige Inseln, Seitenarme und Abzweigungen zwischen den Inseln machten es schwer, das Fahrwasser, den Hauptstrom zu erkennen.

Mal schoss das Wasser spiegelglatt dahin, mal vibrierte das flache Wasser von einer überspülten Sandbank. Überall schwammen ausgerissene Bäume, die wie Wasserminen umher trieben. Vor jeder Insel türmte sich das aufgelaufene Treibholz meterhoch. Diese Berge aus Bäumen sind echte Killer, weil sie jeden sofort unter Wasser ziehen, der hineingerät und wegen der Äste und Zweige und der reißenden Strömung gibt es kein Entkommen.

Der Fluss hatte keine klare Struktur mehr. Irgendwie sah alles so aus, als wären wir in einem Labyrinth voller Gefahren. Unterwasserströmungen rissen unseren Bug zur Seite oder ließen uns unseren Steuermannswechsel verschieben, weil es die Situation nicht erlaubte, das Steuerseil aus der Hand zu legen. Man spürte die Macht der Natur, wie sie uns im Griff hatte. Dazu das Zwielicht in dem man nie erkennen konnte, ob der Flussarm für den man sich entschieden hatte eine Sackgasse war oder es auch einen befahrbaren Ausgang gab. Uns war klar, dass hier ein grober Steuerfehler nicht nur das Ende unserer Fahrt besiegeln würde.

Meistens sah man an der Geschwindigkeit auf dem GPS, dass man in einen Seitenarm geraten war. Man wurde langsamer, das Wasser klebte an den Blättern. Nur jetzt nicht auflaufen bei der Strömung. Zu mehr war das GPS in diesem Abschnitt auch nicht zu gebrauchen. Es war vollkommen unmöglich, die am heimischen Computer aufgezeichnete Ideallinie abzufahren wie man es vom Navi im Auto kennt. Geholfen, ja gerettet, hat uns hier eine detaillierte, handgezeichnete Flusskarte für 21 Dollar inklusive Tax. Nur auf dieser Karte konnte man überhaupt sehen, wo man war und wie es weiter ging. Vor allem war der Hauptstrom eingezeichnet und die Karte und Position darauf wurde bei jedem Steuermannswechsel wie ein Kleinod übergeben. Sofort wurde die Kopfleuchte aufgesetzt und der Steuermann beschäftigte sich mit der Karte. Ich hatte vorher immer noch gewitzelt, dass man als erfahrener Ruder keine Karte braucht und einfach den Strom fühlen muss. In dieser schweren Zeit überließ ich dann aber doch unsere Sicherheit nicht nur einem Gefühl. Ein ehrlicher und aufrichtiger Dank dem Zeichner der Karte.

Es vergingen Stunden und es hatte sich nichts an dem verändert wie ich es eben beschrieben habe. Wir hatten das Gefühl, es nimmt kein Ende. Wir waren in uns gekehrt und erstmals wurde allen bewusst, welchen Gefahren und lebensbedrohlichen Situationen wir uns hier ausgesetzt hatten. Wenn es das „in the middle of nowhere“ gibt, dann hier.

Während der 54 Stunden Ruderzeit wechselten wir mehr als 72-mal und bei jedem Wechsel balancierten jeweils zwei von uns auf der nassen Bordwand, während einer das Boot stützt. Nur eine Unachtsamkeit eines Einzelnen hätte uns alle gefährden können… und bei 5°C Wassertemperatur, Unterwasserströmungen und einer Fließgeschwindigkeit von mehr als 10 km/h wäre jedem von uns trotz einer Schwimmweste nicht viel Zeit geblieben. Da ist es gut, wenn Michael die Frage beantwortet, warum man in Kanada die leuchtenden Schwimmwesten tragen muss: „Damit die Polizei die Leichen schneller findet!“ Das gibt Trittsicherheit und der Wechsel klappt wie am Schnürchen.

Die Umgebung war gespenstisch. Alles war in grauen und diesigen Nebel eingehüllt. Es war nass-kalt und außer dem gleichmäßigen Dollen- und Sedimentgeräusch hörte man nichts. Wir fühlten uns von der Macht der Wildnis umhüllt und eingeschlossen. Wir ruderten mittlerweile ganz alleine, kein Kanu weit und breit.

Aber auch diese Nacht ging vorbei. Es hörte sogar auf zu regnen und wir schälten uns aus unseren blauen Müllsäcken in Form eines Ponchos, die für 0,99 Euro/Stück ein wichtiger Bestandteil unserer Ausrüstung geworden waren. Unter den Schwimmwesten hatten sie unseren Rumpf die ganze Nacht hindurch trocken gehalten und erst für die Fotos bei der Zielankunft zogen wir sie wieder aus.

Erleichterung machte sich langsam breit; ab jetzt sollte uns nichts mehr unterkriegen. Das Wetter war hier oben im Norden zwar nicht mehr so sommerlich wie in Whitehorse, aber je mehr der Tag hereinbrach umso klarer wurde es. So langsam kam Stimmung auf. Wahrscheinlich vermischt mit Müdigkeit und Übermut, legten wir Zwischensprints ein und erreichten fast unsere Spitzengeschwindigkeit von 26 km/h.

Der Lautstärkenregler unserer Musikbox war am Anschlag und beschallte unsere Sinne.

Auf diesem letzten Teilabschnitt mussten wir uns jedoch noch einmal konzentrieren und mit voller Aufmerksamkeit die Steilküsten genauestens in Augenschein nehmen, um nicht Opfer der dort brütenden Möwen zu werden. Diese griffen zunächst mit chemischen Kampfstoffen und schließlich mit Sturzflügen an und waren im Verhältnis zu ihrer Größe sehr, sehr mutig. Also, mit etwas Abstand und dem mit einer laminierten Karte fuchtelnden Steuermann haben wir dann auch diese Situationen gemeistert.

Es war 07:31 Uhr, als wir in Dawson City ankamen. Obwohl wir nicht offiziell am „Yukon River Quest“ teilnahmen, ertönte beim Überqueren der Ziellinie das Horn und wir wurden mit tosendem Applaus und sogar mit Gesang gebührend gefeiert. Ein unbeschreibliches Gefühl. Wir haben es geschafft!!! 740 Km in 53 Stunden und 54 Minuten! So etwas schaffst du nur mit einem tollen Team…

Never stop rowing

Björn, Michael und Matthias